Über den Trauerfall (1)
Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Margot Friedländer, wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.
Margot Friedländer
10.05.2025 um 06:27 Uhr von RedaktionMargot Friedländer (auch Margot Friedlander; geboren am 5. November 1921 in Berlin als Anni Margot Bendheim; gestorben am 9. Mai 2025 ebenda) war eine deutsche Überlebende des Holocausts, die sich als Zeitzeugin engagierte.
Leben
Margot Friedländers Vater, der Handlungsgehilfe und Kriegsveteran Artur Bendheim, heiratete 1920 die aus Teschen(Österreichisch-Schlesien) stammende Auguste Gross, die während des Ersten Weltkriegs nach Berlin kam und ein Knopfgeschäft eröffnete. Die Familie war jüdisch. Margot Friedländer wurde am 5. November 1921 als Anni Margot Bendheim in Berlin geboren, 1925 ihr Bruder Ralph. 1937 ließen sich die Eltern scheiden. Die Geschwister lebten bei der Mutter in Berlin-Kreuzberg. Mehrmals versuchten sie auszuwandern. 1938 verweigerten die USA die Immigration. Auch Versuche, nach Brasilien oder China auszuwandern, scheiterten. 1942 wurde ihr Vater in einem Vernichtungslager ermordet. Am 20. Januar 1943 planten sie ihre Flucht zu Verwandten nach Oberschlesien, Ralph wurde aber von der Gestapo verhaftet. Die Mutter deponierte noch eine Handtasche mit ihrem Adressbuch und einer Bernsteinkette bei Nachbarn, bevor sie sich der Polizei stellte, um Ralph zu begleiten. Die Nachbarn übermittelten Margot die mündliche Botschaft ihrer Mutter: "Versuche, dein Leben zu machen." Im Konzentrationslager Auschwitz wurde die Mutter gleich in die Gaskammer geschickt, Ralph überlebte noch einen Monat.
Margot lebte fortan in verschiedenen Verstecken. Sie färbte sich die schwarzen Haare tizianrot und ersetzte den Judenstern durch eine Kette mit Kreuz. Sie ließ ihre Nase verändern, um nicht dem Vorurteil über das Aussehen von Juden zu entsprechen und als Jüdin erkannt zu werden. Ihre wechselnden Verstecke fand sie bei Gegnern des Nationalsozialismus, wobei ihre Notlage jedoch auch ausgenutzt wurde. Im Frühjahr 1944 geriet sie in eine Kontrolle von "Greifern" – Juden, die im Auftrag der SS andere Juden aufspüren und ausliefern sollten. Sie wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort traf sie Adolf Friedländer wieder, den sie von ihrer Arbeit als Kostümschneiderin beim Jüdischen Kulturbund kannte, wo er Leiter der Verwaltung war. Auch er hatte seine gesamte Familie verloren.
Gemeinsam überlebten Margot und Adolf den Holocaust, heirateten und reisten 1946 per Schiff nach New York. Dort nahmen sie die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten an und schrieben ihren Nachnamen "Friedlander". Die Ehe blieb kinderlos.
Margot Friedländer arbeitete in New York unter anderem als Änderungsschneiderin und Reiseagentin. 1997 starb Adolf Friedländer. Nach seinem Tod besuchte Margot einen Seniorenkurs für biografisches Schreiben des jüdischen Kulturzentrums 92Y, in dem ihr Mann Associate Executive Director gewesen war. Eine ihrer ersten Geschichten handelt von ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager. Durch die Veröffentlichung ihrer Geschichten lernte Margot den Dokumentarfilmer Thomas Halaczinsky kennen, der mit ihr in ihrer alten Heimatstadt Berlin einen Dokumentarfilm drehte. Margot Friedländer nahm 2003 eine Einladung des Berliner Senats für "verfolgte und emigrierte Bürger" an und besuchte ihre Heimatstadt. 2008 erschien ihre Autobiografie Versuche, dein Leben zu machen. Nach weiteren Besuchen in ihrer Heimatstadt beschloss sie, ganz zurückzukehren. Seit 2010 lebte sie wieder in Berlin. Sie erhielt die deutsche Staatsbürgerschaft zurück und besuchte bis zu dreimal wöchentlich Schulen und andere Einrichtungen in ganz Deutschland, um über ihr Leben zu berichten. Dabei trug sie gelegentlich die Bernsteinkette, die sie von ihrer Mutter erhalten hatte.
2011 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, das ihr der damalige Bundespräsident Christian Wulff am 11. November 2011 im Schloss Bellevue überreichte. Die von ihr selbst gelesene Hörbuch-Fassung ihrer Erinnerungen wurde 2016 für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert. Am 14. Mai 2019 erhielt Margot Friedländer für ihre Verdienste um ihre Aufklärungsarbeit im Beisein von Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel den "Talisman" der Deutschlandstiftung Integration. Am 5. November 2021 vollendete Friedländer ihr 100. Lebensjahr.
Am 25. Mai 2022 wurde an Margot Friedländer im Alter von über 100 Jahren die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin verliehen, mit der sie für ihre "überragenden Verdienste als Zeitzeugin" und ihre "hervorragende wissenschaftliche Leistung" als engagierte "Bürgerwissenschaftlerin" geehrt wurde. Als sie bei der Zeremonie gefragt wurde, ob sie ihre Arbeit fortsetzen oder sich nun zur Ruhe setzen wolle, antwortete sie: "Nö, so lang es geht, geht’s", und ergänzte lachend: "Ich hab doch keine Langeweile."
Am 23. Januar 2023 wurde die 101-jährige Friedländer mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. In Zusammenhang mit der Verleihung wurde im Roten Rathaus eine Büste Friedländers von der Künstlerin Stephanie von Dallwitz enthüllt. Die Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey, sagte über die Plastik, dass damit an prominenter Stelle gezeigt werde, "dass im Rathaus unserer Stadt auch all die Berliner Jüdinnen und Juden ihren Platz haben, die das menschenverachtende nationalsozialistische Regime vertrieben, deportiert oder ermordet hat".
2024 wurde sie mit dem Berliner Bären ausgezeichnet. Im Alter von 102 Jahren wurde sie am 4. Juni 2024 im Berliner Bode-Museum von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen mit der Mevlüde-Genç-Medaille dafür geehrt, dass sie "auf vielfältige Weise und mit großem Engagement an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnert", so die Staatskanzlei Düsseldorf.
Die deutsche Vogue bildete sie in ihrer Juli-/August-Ausgabe 2024 auf dem Titelbild ab, in einem roten Miu-Miu-Mantel. Als junge Frau hatte sie davon geträumt, Schneiderin und Designerin zu werden, und sich 1936 an einer Berliner Kunstgewerbeschule eingeschrieben.
Am 4. April 2025 wurde Margot Friedländer in Münster mit dem Sonderpreis des Internationalen Preises des Westfälischen Friedens geehrt. Der Preis wurde ihr von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht.
Friedländer sprach am 7. Mai 2025 im Roten Rathaus zum 80. Jahrestag des Kriegsendes in Deutschland. Zwei Tage nach ihrem letzten öffentlichen Auftritt starb sie am 9. Mai 2025 im Alter von 103 Jahren in Berlin. An diesem Tag sollte ihr das Große Verdienstkreuz durch den Bundespräsidenten verliehen werden.
Stiftung und Preis
Im Jahr 2023 gründete sie die Margot Friedländer Stiftung zur Fortführung der Zeitzeugenarbeit und der Verleihung des Margot Friedländer Preises.
Im Jahr 2014 wurde zum ersten Mal der Margot-Friedländer-Preis durch die Schwarzkopf-Stiftung verliehen. Seit 2024 wird der Margot-Friedländer-Preis von der Margot Friedländer Stiftung verliehen. Mit dem Preis sollen Menschen ausgezeichnet werden, die sich mit Aktionen und Initiativen für Toleranz, Menschlichkeit und gegen Antisemitismus oder Demokratiefeindlichkeit einsetzen – etwa in Schulen, Universitäten oder Vereinen.
Publikationen
Margot Friedländer mit Malin Schwerdtfeger: «Versuche, dein Leben zu machen». Als Jüdin versteckt in Berlin. Rowohlt Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-87134-587-6.
Hörbuch (1 MP3-CD), gelesen von Margot Friedländer. Berlin 2015, speak low, ISBN 978-3-948674-15-1.
Ich hatte doch noch nicht gelebt. In: Tina Hüttl, Alexander Meschnig (Hrsg.): Uns kriegt ihr nicht: als Kinder versteckt – jüdische Überlebende erzählen. Piper, München 2013, ISBN 978-3-492-05521-5, S. 46–65. Kurzbiografie auf S. 65 f.
Matthias Ziegler: Ich lieb’ Berlin. Margot Friedländer zum 100. Geburtstag. Ein Portrait. Bildband, Lexxion Verlag, Berlin 2021, ISBN 978-3-86965-381-5.
Ehrungen
2009: Einhard-Preis für Versuche, dein Leben zu machen
2011: Bundesverdienstkreuz am Bande
2016: Verdienstorden des Landes Berlin
2018: Obermayer German Jewish History Award (Distinguished Service Award)
2018: Ehrenbürgerwürde Berlins
2018: Preis der Deutschen Gesellschaft e. V. für Verdienste um die deutsche und europäische Verständigung
2019: "Talisman" der Deutschlandstiftung Integration
2021: Jeanette-Wolff-Medaille der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
2022: Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin
2022: Walther-Rathenau-Preis (Laudator Frank-Walter Steinmeier)
2023: Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
2023: Berlinerin des Jahres
2024: Berliner Bär
2024: Mevlüde-Genç-Medaille des Landes Nordrhein-Westfalen
2024: Brigitte Award, Ehrenpreis
2024: Deutscher Fernsehpreis (Bester Fernsehfilm/Mehrteiler) für Ich bin! Margot Friedländer
2024: Preis für Verständigung und Toleranz
2024: Bambi in der Kategorie Mut
2024: 3sat-Publikumspreis für den Film Ich bin! Margot Friedländer
2025: Sonderpreis des Westfälischen Friedenspreises
Dokumentarfilme
Don’t Call It Heimweh. Film über Margot Friedländers Besuche in Berlin von Thomas Halaczinsky, USA 2004, 60 Minuten
Späte Rückkehr von Thomas Halaczinsky, 2010, 45 Minuten
Jahrhundertzeugen – Margot Friedländer, eine Graphic-Novel-Erzählung von Martin Priess und Michaela Kolster
Ich bin! Margot Friedländer, Dokudrama, Drehbuch: Hannah und Raymond Ley, UFA Documentary im Auftrag des ZDF, 2023 (2024 ausgezeichnet mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Bayerischen Fernsehpreis), ca. 90 Minuten
Audioguide
Seit Juni 2013 sind Margot Friedländers Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges in Berlin und ihre Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt in einem Audioguide aufgearbeitet. In einem interaktiven Stadtrundgang durch Berlin können Zuhörer verschiedene Stationen und Verstecke erlaufen. Die einzelnen Stationen wurden von Margot Friedländer eingesprochen und mit dem Potsdamer Unternehmen Yopegu produziert.